„Das ist alles psychisch!“, müssen sich Patient:innen mit chronischen Schmerzen über Monate oder Jahre immer wieder anhören. Die Aussage ist zwar nicht sonderlich empathisch, jedoch steckt ein Fünkchen Wahrheit in ihr. Jede Schmerzempfindung entsteht im Kopf und es gibt unzählige Faktoren, die entscheiden, ob und wie lange sie bleibt. Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) beschäftigt sich mit genau diesen Faktoren und gibt den Betroffenen Hoffnung, die häufig Zurückweisung erleben und sich machtlos fühlen, da die Ärzt:innen keine wirksamen Therapiemöglichkeiten finden.
Der heimtückische chronische Schmerz
Wer die Hand zu nah an eine brennende Kerze hält oder dem eingesteckten Bügeleisen zu nahe kommt, zuckt sofort reflexartig zurück. Der Mechanismus Schmerz lässt uns gefährliche Situationen umgehend erkennen und unseren Körper mit Kampf oder Flucht reagieren. Verliert der Schmerz jedoch seine Warnfunktion und hält länger als drei Monate an oder übersteigt die normale Dauer einer Erkrankung deutlich, sprechen wir von chronischem Schmerz. Er deutet im Gegensatz zum akuten Schmerz nicht auf eine Schädigung des Körpers (z. B. eine Verletzung) hin, sondern stellt eine eigene Krankheit oft ohne erkennbare Ursache dar. Betroffene chronischer Schmerzen besitzen ein verändertes schmerzverarbeitendes System, dass eigenständig Signale durch Veränderungen auf neuronaler Ebene erzeugt. Begleiterscheinungen sind nicht selten Beschwerden wie Appetitmangel, Schlafprobleme, depressive Verstimmung und Reizbarkeit.
Mögliche Ursachen für das Leid
Die Ursachen von chronischem Schmerz können sehr vielfältig sein. Vereinfacht lassen sie sich in drei Bereiche unterteilen:
Begleitsymptom einer körperlichen Erkrankung: Chronische Schmerzen können im Zuge von Krankheiten wie Rheuma, Osteoporose, Arthrose oder einer Nervenschädigung auftreten. Auch Phantomschmerzen bei einer Amputation fallen in diese Kategorie.
Komorbide Schmerzen mit physischem und psychischem Auslöser: Hierzu zählen Schmerzen durch Gewebeschädigungen, die durch gleichzeitig bestehende psychische Faktoren verschlimmert werden. Ein Beispiel sind Rückenschmerzen durch einen Bandscheibenvorfall, die durch eine Depression oder eine Angststörung begünstigt werden.
Primäre psychische Auslöser: Hier treten chronische Schmerzen im Zuge von z. B. anhaltenden Konflikten im sozialen Umfeld oder am Arbeitsplatz, posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen oder auch Angststörungen auf. Der Stress zeigt sich in den verschiedensten Körperbereichen, wie in der Muskulatur des Rückens, dem Magen-Darm Trakt oder auch der Kaumuskulatur.
Wie manifestiert sich chronischer Schmerz?
Innere Zwänge und eine ungünstige Schmerzverarbeitung können chronischen Schmerz sich im Körper manifestieren und aufrechterhalten lassen. Wenn wir beispielsweise durch eine falsche Körperhaltung Schmerzen im Rücken haben, wären Gedanken wie: „Ich brauche eine Auszeit“ angemessen sowie die Handlung tatsächlich eine Pause zu machen. Das dysfunktionale durchhalten wollen („Jetzt stell dich mal nicht an, eine Pause gibt es später“), Bagatellisieren („So furchtbar ist es nicht“) und Ignorieren verstärken die Schmerzen. Im Zuge der ungünstigen Schmerzverarbeitung erleben Personen chronische Schmerzen als besonders bedrohlich und verfallen in eine absolute Schonhaltung. Sie vermeiden jegliche körperliche Betätigung und befinden sich in einem Zustand der ständigen Angst. Das Katastrophisieren jeglicher Körperempfindungen und damit verbundenen Gedanken verstärkt den chronischen Schmerz wiederum. Darüber hinaus gibt es eine Art Schmerzgedächtnis. Bei wiederkehrenden Schmerzreizen „erinnert“ sich der Körper an diese, auch wenn die Ursache nicht mehr vorhanden ist. Folgende Schmerzen werden durch das empfindlichere Schmerzgedächtnis schneller verarbeitet und stärker wahrgenommen. Ein Teufelskreis. Betroffene konzentrieren sich auf die Schmerzen, wodurch beispielweise Ärger und Angst entstehen und die Wahrnehmung wiederum verstärken.
Auswirkungen auf das ganze Leben
Chronische Schmerzen führen zu einer messbaren Senkung der Schmerzschwelle. Reize werden demnach schneller als Schmerzen wahrgenommen und zur Dauerbelastung. Diese kann die Lebensqualität erheblich senken, da sie neben Persönlichkeitsveränderungen auch Auswirkungen auf diverse Lebensbereiche mit sich bringt:
- Beeinflussung der Schlafqualität
- Minderung der Leistungsfähigkeit (evtl. Behinderung oder Frühberentung)
- Einsamkeit durch belastete Freundschaften und Partnerschaften
- Rückzug von sozialen Aktivitäten
Nicht selten führen all diese Faktoren und das erhöhte Maß an Anstrengung, um Alltagspflichten zu erfüllen, zu einer Entwicklung von psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen.
Der Ausweg: Die kognitive Verhaltenstherapie
Eine Psychotherapie kann zwar nicht den Anteil der körperlichen Erkrankung einer Schmerzstörung heilen, jedoch den Umgang mit ihr und die psychischen Folgeerkrankungen bearbeiten. Es existieren bereits einige Psychotherapeutische Verfahren zur Behandlung chronischer Schmerzen, wobei die kognitive Verhaltenstherapie eines der wirksamsten ist. In der KVT erlernen die Patient:innen Strategien mit Stress umzugehen und ihr Verhalten so zu verändern, dass es nicht weiter schmerzverstärkend wirkt. Ebenfalls soll durch ausreichende Information über die wichtigsten Schmerzmechanismen und ihre Auswirkungen den Betroffenen die Angst genommen werden. Dazu benötigt es folgende Schritte:
1. Analyse der Situation
Eine Situationsanalyse ermöglicht das Identifizieren von dysfunktionalen Gedanken und Verhaltensweisen. In dem Zuge werden typische Situationen ausgemacht und analysiert, in denen der Schmerz stärker wird. Wie verhält der/die Patient:in sich in den Situationen, was denkt und fühlt er/sie? Im Rahmen von Selbstbeobachtungen und Schmerztagebücher werden Handlungsmöglichkeiten zur Schmerzbewältigung identifiziert.
2. Ziele festlegen
Diese sollen sehr konkret als günstige Gedanken und Verhaltenseisen formuliert werden. Damit die Angst vor Veränderungen nicht allzu groß ist, werden sie kleinschrittig und realistisch erreichbar definiert. Für den/die Patient:in ist es hierbei ebenfalls entscheidend, dass er/sie das Gefühl bekommt die Kontrolle zu haben und die Schritte im eigenen Tempo gehen zu können. Nur so können die Behandlungsmaßnahmen akzeptiert und so in den Alltag integriert werden, dass sie im besten Falle ein Leben lang beibehalten werden.
3. Neues Verhalten durch Rollenspiele üben
Neue Verhaltensweisen werden als erstes in Rollenspielen geübt. Damit kann getestet werden wie schwierig ihre Umsetzung ist und ob sie zu dem/der Patient:in passen. Auch „Hausaufgaben“ zur Umsetzung im Alltag sind Teil der kognitiven Verhaltenstherapie. Je nach körperlicher Verfassung können auch körperliche Aktivität, Konzentrationsübungen oder ein regelmäßiger Austausch mit Bekannten eine Erleichterung bringen. Ebenfalls kann die Bewertung des Schmerzes bearbeitet werden und so die Kontrolle über den Körper zurückgewonnen werden.
Grenzen
Wie wirksam eine Psychotherapie bei chronischen Schmerzen ist, hängt maßgeblich von ihren Ursachen ab. Gerade wenn diese rein körperlicher Natur sind, kann eine Psychotherapie natürlich keine medikamentöse Behandlung ersetzen. Allerdings kann sie dabei unterstützen die Gedanken von den Schmerzen wegzulenken und diese neu zu bewerten. Die damit verbundene Stärkung des sozialen Umfeldes und der Aktivitäten können das Wohlbefinden enorm steigern und den Grundstein für ein neues Lebenskonzept bilden. Die Psychotherapie sollte somit immer ein Baustein auf dem Weg zur Behandlung von chronischen Schmerzen sein.
Quellenangaben
Deutscher Ärzteverlag GmbH: https://www.aerzteblatt.de/archiv/54826/Psychologische-Interventionen-bei-Chronischem-Schmerz-Motivation-zur-Selbsthilfe, Abruf am 25.07.2022.
Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.: https://www.schmerzgesellschaft.de/fileadmin/pdf/Aktionstag-Zahlen-Fakten.pdf, Abruf am 26.07.2022.
Frede, Ursula: Psychotherapie mit chronisch schmerzkranken Menschen. Wiesbaden, 2021.
