Die Wirksamkeit von Gruppenpsychotherapie ist schon lange wissenschaftlich belegt. Bereits im frühen 20. Jahrhundert waren sich die ersten Ärzt:innen und Psycholog:innen einig, dass sie bei verschiedensten psychischen Erkrankungen genauso wirksam ist wie das Verfahren der Einzeltherapie. Doch entgegen der lange bekannten Vorteile für Patient:innen, wird ihr heute noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geboten und sie ist lediglich im stationären und weniger im ambulanten Rahmen etabliert. Dabei ist die Gruppenpsychotherapie gerade im sozialen Kontext dem Einzelsetting klar überlegen und bietet unter anderem einen hohen Evidenzgrad bei depressiven und somatoformen Störungen, Angsterkrankungen sowie Schizophrenie. Eine Vielzahl von Menschen hat Schwierigkeiten erfüllende Beziehungen zu führen, ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle wahrzunehmen und diese zu kommunizieren. Die Dynamik der Gruppe kann an der Stelle den entscheidenden Zusammenhang zwischen aktuellen Gefühlen, Verhalten und Ursachen in der Kindheit herstellen sowie bei der Entwicklung neuer Denk- und Verhaltensmuster helfen.
Warum Psychotherapie in Gruppen?
Fast jeder fühlt sich unterschiedlichsten Gruppen zugehörig. Ob nun in der Familie, auf der Arbeit oder im Sportverein – die Verbundenheit und der Umgang in der Gruppe beeinflusst maßgeblich das Selbstbild. Darüber hinaus bietet sie Sicherheit und mentalen Beistand in schwierigen Situationen. Die wechselseitige Abhängigkeit, die dabei entsteht, trägt maßgeblich zur Entwicklung stabiler individueller Autonomie bei. Allerdings müssen Mitglieder auch aushalten können, nur eingeschränkte Kontrolle im Gruppensetting zu haben. Genau das fällt vielen Menschen schwer und therapeutische Gruppen bieten neben der Introspektion auch die Interaktion mit Anderen als Zugangsweg zum Verstehen des eigenen Erlebens und Verhaltens. Gerade Patienten profitieren, die zur Lösung von inneren Konflikten die Interaktion benötigen. An diesem Punkt bieten psychotherapeutische Gruppen ein „Spielfeld“ an, auf dem Neues im Erleben und im Umgang mit anderen ausprobiert und geübt werden kann.
Positive Effekte der Gruppe
Eine Gruppenpsychotherapie bringt viele positive Wirkfaktoren mit sich:
- Hoffnung: Die Teilnehmer einer Gruppenpsychotherapie haben regelmäßig Kontakt zu anderen Mitgliedern, die bereits Fortschritte gemacht haben und die ähnliche Schwierigkeiten inzwischen besser bewältigen können.
- Das Gefühl nicht alleine zu sein: Besonders zu Beginn einer Gruppenpsychotherapie wird das Gefühl der Einzigartigkeit, welches gerade bei Patient:innen mit psychischen Erkrankungen durch den sozialen Rückzug verstärkt wird, abgebaut und eine große Erleichterung erlebt.
- Altruismus: Gruppenmitglieder erhalten etwas, indem sie Anderen etwas geben. Die Gedanken, den anderen Teilnehmer:innen nichts Bedeutsames bieten zu können und nicht wichtig zu sein werden korrigiert und stärken damit das Selbstwertgefühl.
- Informationsgewinn: Anleitungen, Hinweise oder Ratschläge von Mitpatient:innen oder den Therapeut:innen können als sehr hilfreich erlebt werden. Oft ist nicht der direkte Ratschlag, sondern die systematische Anleitung ein wichtiger Faktor.
- Soziales Miteinander: Durch die Beobachtung und den Umgang mit anderen Gruppenmitgliedern sowie deren Rückmeldung werden neue Techniken im sozialen Miteinander entwickelt.
- Korrigierende Erfahrungen der primären Familiengruppe: Patient:innen interagieren in der Gruppenpsychotherapie häufig so wie in früheren Familienstrukturen. Das Durchleben der alten Muster in der Gruppensituation kann zu neuen Erfahrungen und anderen Reaktionsmustern führen.
- Interpersonales Lernen: Probleme in basalen interpersonalen Fähigkeiten (z. B. Affektwahrnehmung und Antizipation des eigenen Verhaltens) und übertragungsbedingte Verzerrungen der Wahrnehmung von Mitmenschen können mit neuen emotionalen Gruppenerfahrungen und der Reflexion verringert werden.
Rahmenbedingungen und Ablauf
Bei einer Gruppenpsychotherapie werden mehrere Patient:innen gemeinsam behandelt. Dabei wird die psychische und soziale Gruppendynamik genutzt um bestimmte Therapieziele zu erreichen. Eine solche Gruppe besteht je nach Verfahren meist aus sechs bis zehn Mitgliedern und ist entweder geschlossen (Gleiche Teilnehmer:innen über den gesamten Therapiezeitraum) oder offen (Durch das Therapieende einzelner Teilnehmer:innen stoßen regelmäßig neue Personen hinzu) gestaltet. Kleinere Gruppen bilden dabei eher familienähnliche Dynamiken ab. Die Patient:innen berichten in der Sitzungsdauer von etwa 90 Minuten entweder relativ frei oder von Therapeut:innen angeleitet von ihren Problemen und damit einhergehenden Gefühlen. Durch die Rückmeldungen der anderen Teilnehmer:innen erhalten die Patient:innen eine Einschätzung ihrer Probleme sowie Anregungen zum Umgang mit ihnen. Jedem/Jeder Teilnehmer:in ist dabei selbst überlassen, wie viel er/sie von sich zeigen möchte. Gerade weil die meisten Gruppen aus Personen bestehen, die sich im Vorhinein nicht kennen und rein zum Zweck der Therapie zusammenfinden, gilt für alle Teilnehmer:innen die absolute Verschwiegenheitspflicht. Während Gruppensitzungen im ambulanten Kontext üblicherweise einmal wöchentlich stattfinden, werden sie im stationären Bereich mindestens zweimal wöchentlich angeboten. Auch eine Kombination von Einzel- und Gruppentherapie ist in beiden Kontexten möglich.
Typen psychotherapeutischer Gruppen
Es gibt eine Reihe psychotherapeutischer Schulen, die sich mit der Arbeit in Gruppen befasst. Je nach Problemstellung und vor allem Zielsetzung können folgende Therapieverfahren in Betracht gezogen werden:
Verhaltenstherapeutische Gruppentherapie: Die Lösung der Patientenprobleme geschieht durch die Veränderung ungünstiger Verhaltensweisen. Durch den geschützten Rahmen der Gruppe kann es weniger herausfordernd sein neue Verhaltensweisen auszuprobieren. Es kann sowohl einen flexiblen, als auch klar strukturierten Ablauf mit vorgegebenen Übungen geben.
Psychoanalytisch orientierte Gruppentherapie: Dadurch, dass die Patient:innen hier frei über ihre Probleme berichten, entstehen unstrukturierte Situationen die dazu beitragen, dass sie Beziehungserfahrungen aus der Kindheit und damit verbundene Gefühle wieder erleben können. Therapeut:innen übernehmen die Rolle der Dirigent:innen und helfen die Persönlichkeitsstruktur der einzelnen Mitglieder zu erkennen und neue Beziehungserfahrungen zu ermöglichen.
Klientenzentrierte Gruppentherapie: Die Therapeut:innen verhalten sich den Gruppenmitgliedern gegenüber stets wertschätzend, empathisch und zeigen was sie denken und fühlen. Sie konfrontieren sie zwar mit problematischen Verhaltensmustern, halten sich sonst jedoch eher im Hintergrund und vermeiden Bewertungen oder Ratschläge. Die Patient:innen stehen mit ihren Wünschen, Werten und Gefühlen im Mittelpunkt.
Familientherapie, systemische Therapie und Paartherapie: Es wird davon ausgegangen, dass die psychischen Symptome von Patient:innen oder auch die allgemeine psychische Belastung der Familie aufgrund ungünstiger Beziehungsmustern entstanden sind und durch sie aufrecht erhalten werden. Ganz wichtig für die Mitglieder ist es, diese Muster zu verstehen und gemeinsam Lösungen für Probleme oder Belastungen zu entwickeln.
Gruppentherapie beim Psychodrama: Patient:innen sind die Hauptdarsteller:innen und inszenieren ihr Problem in Form eines Spiels. Dabei können sie anderen Teilnehmer:innen weitere Rollen zuweisen. Durch das spontane Nachspielen von Situationen soll die Kreativität der Mitglieder geweckt werden und sie sollen lernen angemessenere Verhaltensweisen für bisher problematische Situationen zu finden. Am Spiel unbeteiligte Patient:innen geben hinterher eine einfühlsame und gegebenenfalls kritische Rückmeldung. Zudem findet ein Austausch statt, welche Lebenserfahrungen während des Rollenspiels erinnert wurden.
Die optimale Zusammensetzung
Für den therapeutischen Erfolg der einzelnen Mitglieder einer Gruppenpsychotherapie ist ihre Zusammensetzung entscheidend. Damit alle von der Therapie profitieren, ist ein gewisses Maß an Heterogenität der Persönlichkeitseigenschaften sowie der Lebenserfahrung von Bedeutung. Ebenso wie die Vielfalt verbaler Aktivität und Passivität. So entsteht meist eine bunte Palette an Störungsbildern und anderen Attributen wie Alter, Geschlecht und Bildung. Grundlegend für die Zusammensetzung einer Gruppe sind ebenfalls die Zielsetzungen und Rahmenbedingungen. Wie hoch der Grad der Heterogenität nun konkret sein soll, wird auch von der Zeitdauer der Therapie bestimmt. Länger anhaltende Therapiegruppen präferieren dabei eine im hohen Maße heterogene Zusammensetzung, kürzere Gruppen eine etwas homogenere Zusammensetzung. Laut einiger Studien haben sich Heterogenität im Persönlichkeitsmerkmal Extraversion und Homogenität im Merkmal Verträglichkeit als nicht förderlich erwiesen. Viele Therapeut:innen berichten ebenfalls, dass es sinnvoll ist immer zwei Patient:innen an Board zu haben, die eine Ähnlichkeit miteinander finden können. Denn wenn eine zu große Abweichung eines Mitgliedes mit der restlichen Gruppe vorliegt, hat dies eher schädliche Auswirkungen auf die restliche Gruppe.
Wer ist nun geeignet für eine Gruppe?
Folgende Merkmale identifizieren geeignete Kandidat:innen für eine Gruppentherapie:
- Fähigkeit über eigene Gefühle und Ansichten zu sprechen
- Erfolgreiches zurechtfinden in früheren Therapien oder vorherige positive Gruppenerfahrungen
- Einhaltung der Rahmenvereinbarungen (Uhrzeiten, Gruppendauer etc.)
- Bewusstsein dafür, dass aktuelle Beziehungen durch die Dynamik der Ursprungsfamilie beeinflusst werden
- Existieren mindestens einer funktionierenden Beziehung
- Bereitschaft auch in einer schweren Krise oder bei Suizidgedanken in Kontakt zu treten und einen Suizidvertrag zu schließen
- Keine Gefährdung der Gesundheit durch die Gruppenteilnahme
- Übermäßige Abhängigkeit von/vom Einzeltherapeut:in
- Hohe intrinsische Motivation
Damit eine Gruppenpsychotherapie erfolgreich sein kann, müssen nicht immer alle Kriterien erfüllt sein. Grundlegend ist es wichtig, dass der/die Kandidat:in offen für die Arbeit mit einem neuen Konzept ist und gewillt ist, gegebenenfalls auch Konflikte in diesem auszuhalten.
Quellenangaben
Ärtzeblatt: https://www.aerzteblatt.de/archiv/214690/Gruppenpsychotherapie-Bereicherung-der-Einzelarbeit, Abruf am 04.05.2022.
Strauß, Bernhard; Rosner, Rita; Seidler, Günter: Gruppenpsychotherapie. Stuttgart, 2022.
