Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) hat sich über die letzten Jahrzehnte als eine der wirksamsten Therapieformen zur Behandlung psychischer Störungen etabliert. Traditionell orientierte sie sich an störungsspezifischen Modellen, die für einzelne Diagnosen wie Depressionen oder Angststörungen spezifische Interventionen bereitstellen. In den letzten Jahren hat sich jedoch ein Paradigmenwechsel vollzogen: Transdiagnostische und prozessorientierte Ansätze gewinnen zunehmend an Bedeutung. Diese neuen Konzepte gehen über störungsspezifische Diagnosen hinaus und betrachten zugrunde liegende psychologische Prozesse, die bei verschiedenen Erkrankungen eine Rolle spielen.

Was sind transdiagnostische Ansätze?


Der Begriff transdiagnostisch bedeutet, dass ein therapeutisches Modell nicht nur auf eine spezifische psychische Störung beschränkt ist, sondern allgemeine Prozesse und Mechanismen adressiert, die in mehreren Störungen eine Rolle spielen. Die Idee dahinter ist, dass psychische Störungen nicht isoliert existieren, sondern häufig gemeinsame Ursachen und aufrechterhaltende Faktoren teilen. Zu diesen Faktoren gehören beispielsweise:

  • Dysfunktionale Emotionsregulation (z. B. übermäßige Vermeidung, unterdrückte Emotionen)
  • Kognitive Verzerrungen (z. B. Katastrophisieren, Schwarz-Weiß-Denken)
  • Negative Schemata (z. B. geringes Selbstwertgefühl, Selbstkritik)
  • Interpersonelle Schwierigkeiten (z. B. soziale Unsicherheit, Abhängigkeit)

Beispiele für transdiagnostische Therapieansätze

1.     Das Unified Protocol (UP) von Barlow et al. wurde speziell für die Behandlung emotionaler Störungen wie Angststörungen und Depressionen entwickelt. Es konzentriert sich auf die Verbesserung der Emotionsregulation und den Abbau von Vermeidungsverhalten.

2.     Metakognitive Therapie (MKT) von Wells fokussiert sich auf dysfunktionale Denkstile, die bei verschiedenen Störungen auftreten, wie Grübeln oder exzessive Sorgen.

3.     Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) betont Achtsamkeit, Werteorientierung und psychologische Flexibilität anstelle einer reinen Symptomreduktion.

Prozessorientierte Ansätze in der KVT


Während klassische kognitive Verhaltensthreapie störungsspezifische Interventionen verfolgt, richten sich prozessorientierte Ansätze auf die zugrunde liegenden Veränderungsmechanismen. Der Fokus liegt hierbei nicht primär auf der Symptomverbesserung, sondern auf der Veränderung maladaptiver psychischer Prozesse. Prozessorientierte Therapieformen beinhalten unter anderem:

  • Achtsamkeitsbasierte Ansätze, wie Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT), die darauf abzielen eine distanzierte und akzeptierende Haltung gegenüber Gedanken und Emotionen einzunehmen.
  • Emotionsfokussierte Interventionen, die darauf abzielen emotionale Verarbeitung und Ausdruck zu fördern.
  • Veränderung von Verhaltensmustern, insbesondere durch erlebnisorientierte Techniken wie Exposition oder Verhaltensexperimente.

Beispiel: Prozessbasierte Therapie (PBT)

Ein neuerer Ansatz ist die Prozessbasierte Therapie (Process-Based Therapy, PBT), die von Hofmann & Hayes entwickelt wurde. Dieser Ansatz integriert verschiedene therapeutische Schulen und orientiert sich an empirisch validierten Veränderungsprozessen, die individuell angepasst werden.

Vorteile transdiagnostischer und prozessorientierter Ansätze


Die Anwendung transdiagnostischer und prozessorientierter Ansätze bietet eine Reihe von Vorteilen, die eine effektivere und individuell angepasste psychotherapeutische Behandlung ermöglichen.

  1. Flexibilität: Einer der größten Vorteile transdiagnostischer und prozessorientierter Ansätze ist ihre Flexibilität. Während traditionelle störungsspezifische Therapien an feste Diagnosen gebunden sind, ermöglichen transdiagnostische Konzepte eine individuelle Anpassung der Behandlung. Das bedeutet, dass Therapeuten gezielt auf die spezifischen Bedürfnisse und Problembereiche eines Patienten eingehen können, anstatt sich strikt an ein festgelegtes Protokoll für eine bestimmte Störung zu halten. Dadurch können Interventionen variabler eingesetzt und auf Veränderungen im Therapieverlauf dynamisch reagiert werden.
  2. Effektivität: Da transdiagnostische und prozessorientierte Ansätze grundlegende Mechanismen und Prozesse adressieren, sind sie oft effektiver als rein störungsspezifische Ansätze. Viele psychische Störungen teilen gemeinsame aufrechterhaltende Faktoren, wie maladaptive Kognitionen oder emotionale Dysregulation. Indem die Therapie auf diese übergeordneten Mechanismen abzielt, kann sie eine breite Wirkung entfalten und mehrere psychische Störungen gleichzeitig positiv beeinflussen. Zudem kann durch eine gezielte Prozessfokussierung die Nachhaltigkeit der Therapieerfolge erhöht werden, da der Patient grundlegende Fähigkeiten zur Selbstregulation erlernt, die über eine einzelne Störung hinausgehen.
  3. Vermeidung von Komorbiditätsproblemen: Viele Patienten leiden unter mehreren psychischen Störungen gleichzeitig (Komorbidität). Ein klassisches Beispiel ist das gleichzeitige Auftreten von Angststörungen und Depressionen. In einem störungsspezifischen Modell müssten für jede Störung eigene Behandlungsprotokolle angewendet werden, was die Therapie oft langwierig und kompliziert macht. Transdiagnostische Ansätze hingegen bieten eine integrierte Lösung, indem sie sich auf gemeinsame Prozesse konzentrieren, die für mehrere Störungen relevant sind. Dies ermöglicht eine effektivere und effizientere Behandlung komplexer Symptomkonstellationen, wodurch der Therapieaufwand für Patienten und Therapeuten reduziert wird.

Kritische Stimmen und Herausforderungen 


Trotz der vielen Vorteile bringen transdiagnostische und prozessorientierte Ansätze auch einige Herausforderungen mit sich. Eine der größten Schwierigkeiten besteht in der Umsetzung dieser Ansätze in der klinischen Praxis. Da sie eine individuelle und flexible Anpassung der Behandlung erfordern, benötigen Therapeuten umfassende Kenntnisse und Erfahrungen in verschiedenen therapeutischen Verfahren. Zudem kann die Diagnoseunabhängigkeit dazu führen, dass sich Patienten weniger in ihrer spezifischen Problematik verstanden fühlen, insbesondere wenn sie eine klare Diagnose und eine darauf abgestimmte Therapie bevorzugen.

Ein weiteres Problem stellt die Forschung dar: Während störungsspezifische Behandlungsansätze oft durch zahlreiche Studien validiert wurden, befinden sich transdiagnostische Modelle noch in einer vergleichsweise frühen Entwicklungsphase. Es gibt zwar vielversprechende Ergebnisse, doch ist weitere Forschung notwendig, um ihre langfristige Wirksamkeit und optimale Anwendung zu bestimmen. Darüber hinaus kann die Komplexität der prozessorientierten Therapieansätze dazu führen, dass standardisierte Behandlungsrichtlinien schwieriger zu erstellen sind, was wiederum die Verbreitung und Implementierung in klinischen Einrichtungen erschwert.

Quellenangaben

Heidenreich, T. & Michalak, J. (2013). Die »dritte Welle« der Verhaltenstherapie: Grundlagen und Praxis. (2013). Beltz, Weinheim.

Heßler, J. B., Heßler-Kaufmann & J., Fiedler, P. (2019). Transdiagnostische Interventionen in der Psychotherapie. Schattauer, Stuttgart.

Parfy, E., Schuch, B. & Lenz, G. (2024). Verhaltenstherapie: Moderne Ansätze für Theorie und Praxis. Utb, Wien.