Die Ego-State-Therapie ist ein psychotherapeutischer Ansatz, der seinen Fokus auf die verschiedenen Persönlichkeitsanteile, die sogenannten Ego-States, legt und in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat. Inzwischen gibt es in Deutschland einige hundert Psychotherapeut:innen und Ärzt:innen, die im Rahmen einer Weiterbildung für diese Behandlungsmethode qualifiziert sind und mit ihr, nachweislich hochwirksam, diverse psychotherapeutische Ansätze kombinieren können. 

Was macht die Ego-State-Therapie so besonders?


Jeder von uns hat unterschiedliche Persönlichkeitsanteile in sich, die in Konflikt geraten können wenn sich einzelne Anteile in Zuständen von Angst, Schmerz, Trauma oder Wut befinden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn wir bezüglich eines Ereignisses nicht im Reinen mit uns selbst sind, uns zwiegespalten fühlen und Schwierigkeiten haben Entscheidungen zu treffen.

Statt wie üblich „nur über das Problem der Patient:innen zu reden“ wird in der Ego-State-Therapie direkt mit dem Persönlichkeitsanteil gearbeitet, bei dem eine Veränderung sehr nützlich ist. Ziel ist es eine Harmonie zwischen den verschiedenen Ego-States durch eine bessere Kommunikation und Zusammenarbeit zu schaffen. Ob im Kontext der Einzel-, Familien- oder Gruppentherapie, die Ego-State-Therapie ist für ein breites Krankheitsspektrum von ZwangserkrankungenAngststörungen, Schmerzstörungen oder auch der Posttraumatischen Belastungsstörung geeignet. Ein bedeutsames Merkmal ist darüber hinaus die Ressourcenorientierung des Verfahrens, die nicht nur bei psychischen Erkrankungen, sondern untern anderem auch bei der Optimierung von Leistung, bei einer Schwangerschaft oder bei Trauerprozessen hilfreich sein kann.

Wie genau entstehen Ego-States?


Tatsächlich werden wir nicht mit bestimmten Ego-States geboren, sondern bilden sie im Laufe unseres Lebens aus. Indem wir Tätigkeiten immer und immer wieder tun, bildet unser Gehirn Nervenbahnen mit bestimmten Fähigkeiten, Erfahrungen und Emotionen. Durch diese wiederum können wir uns an unsere Umgebung anpassen und auch Problemlösefähigkeiten entwickeln. Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, wie Ego-States entstehen können:

Normale Differenzierung: Sie entstehen durch die Entwicklung, beeinflusst durch die Familie, Kultur, Politik und das soziale Umfeld.

Wenn ein Kind in der Schule gute Noten schreibt und zuhause immer wieder viel Lob dafür erhält, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im weiteren Lebensverlauf versuchen besondere Leistungen zu erzielen um Bestätigung zu erhalten. 

Introjektion: Unbewusstes Übernehmen von äußeren Sichtweisen, Werten und Normen der Personen um Umfeld.

Ein Kind erlebt bei seinen Eltern immer wieder, dass sie ein großes Misstrauen in andere Personen haben und sich schwer damit tun enge Beziehungen einzugehen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird das Kind diese Sichtweise übernehmen und entsprechend mit seinem sozialen Umfeld reagieren.

Traumatisierung: Ego-States entstehen zur Bewältigung eines Traumas.

Ist die Kindheit durch schwere Gewalterfahrungen oder Missbrauch geprägt, könnte ein Kind zur Bewältigung dieser Erfahrungen mit einem verdrängenden Persönlichkeitsanteil reagieren.

Grundsätzlich können wir uns die Gesamtheit unserer Persönlichkeitsanteile vorstellen wie eine Familie, sie bestehen zwar nebeneinander, sind jedoch in enger Kommunikation und verfolgen gemeinsame Ziele. Genau aus diesen Gründen ist es auch möglich, dass sie in Konflikt geraten, was im schlimmsten Fall zu einer psychischen Erkrankung führt.

Vier Kategorien von Persönlichkeitsanteilen


Jeder unserer Ego-States kann einer der folgenden vier Kategorien zugeordnet werden:

Normal funktionierender Ego-State: Der Anteil steht im Einklang andern Ego-States und verursacht keinerlei Probleme.

Geschwächter Ego-State: Dieser Anteil ist geprägt durch negative Erfahrungen und Traumata, welche nicht verarbeitet werden konnten. Er kann in stressigen Situationen dazu beitragen, dass wir ungewollt sehr emotional werden und Kontrollverlust erleben. Zur Bewältigung werden häufig Zwänge oder Suchtverhalten entwickelt.  

In der Vergangenheit stecken gebliebener Ego-State: Der Anteil beinhaltet gelernte Ansichten und Verhaltensweisen, die in der Vergangenheit sinnvoll waren. Ein Beispiel sind Wutausbrüche, die in der Kindheit zum Schutz und zur Durchsetzung des eigenen Willens gedient haben. 

Konflikt-Ego-State: Dieser Anteil befindet sich im Konflikt mit einem anderen Ego-State, was zu inneren Spannungen führt. Beispielsweise können wir uns selbst für gewisse Verhaltensweisen, die wir nicht loswerden, verurteilen oder der eine Teil von uns möchte sich erholen und der andere etwas leisten.

Ziele der therapeutischen Arbeit


Wünschenswert für Patient:innen wäre, dass alle Ego-States normal funktionieren. Im Rahmen der Psychotherapie soll sich diesem Zustand durch folgende drei Ziele angenähert werden:

  • Persönlichkeitsanteile identifizieren, die Wut, Schmerz oder Frust beinhalten. Durch ein Zulassen dieser Emotionen sowie Trost, Schutz und Stärkung soll dem Patienten geholfen werden sich von ihnen zu lösen.
  • Kommunikation zwischen den verschiedenen Ego-States möglich machen und optimieren, damit künftig eine bessere Zusammenarbeit stattfinden kann.
  • Patient:innen sollen befähigt werden einen Nutzen aus ihren Persönlichkeitsanteilen zu ziehen – durch die Bewältigung von belastenden Erfahrungen können Wachstumsprozesse, Eigenverantwortlichkeit und Beziehungsfähigkeit gefördert werden.

Das SARI-Modell


Um nun die oben genannten Ziele zu erreichen wird in der Ego-State-Therapie mit dem SARI-Modell gearbeitet:

  1. Safety and Stabilisation: Zunächst soll eine sichere Umgebung für Patient:innen geschaffen werden um ihre Ego-States zu stabilisieren. 
  2. Accessing: Im nächsten Schritt soll ein geeigneter Zugang zu den geschwächten, in der Vergangenheit stecken gebliebenen und konflikthaften Ego-States geschaffen werden.
  3. Resolving und Restabilisation: Die belastenden Erlebnisse werden aufgearbeitet und die Patient:innen dadurch stabilisiert werden.
  4. Integration and Identity: Durch die Integration und Veränderung von Persönlichkeitsanteilen wird eine neue Identität für die Patient:innen geschaffen.

Ganz wichtig ist abschließend zu erwähnen, dass die Ego-State-Therapie die destruktiven Persönlichkeitsanteile nicht komplett eliminieren, sondern vielmehr helfen möchte neue Strategien zu entwickeln um die dahinter liegenden Bedürfnisse zu befriedigen und damit den Patient:innen wieder mehr Lebensqualität zu ermöglichen.

Quellenangaben

Deutscher Ärzteverlag GmbH: https://www.aerzteblatt.de/archiv/156427/Ego-State-Therapie-Bis-ins-Detail-nachvollziehbar, Abruf am 22.02.2023.

Fritzsche, Kai: Praxis der Ego-State-Therapie. Heidelberg, 2014.

Fritzsche, Kai & Hartman, Woltemade : Einführung in die Ego-State-Therapie. Heidelberg, 2016.

Peichl, Jochen: Innere Kinder, Täter, Helfer & Co: Ego-State-Therapie des traumatisierten Selbst. Stuttgart, 2010.

Watkins, John & Watkins, Helen: Ego-States. Theorie und Therapie. Heidelberg, 2003.