In schwierigen Lebenssituationen wird Achtsamkeit oft als der Schlüssel zu innerer Stabilität angesehen. Doch was, wenn gerade diese Konzentration auf den Moment zusätzlichen Stress erzeugt? Forschungen zeigen, dass eine hoffnungsvolle Perspektive manchmal wirkungsvoller für die psychische Widerstandskraft sein kann als reine Achtsamkeitspraktiken. Während Achtsamkeit oft mit Stressbewältigung in Verbindung gebracht wird, kann sie in bestimmten Fällen dazu führen, dass Menschen sich verstärkt mit negativen Emotionen auseinandersetzen, ohne eine Lösung oder Perspektive zu finden. Hoffnung hingegen bietet eine langfristige Orientierung und kann Menschen dazu motivieren, Herausforderungen aktiv anzugehen.

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Photo by Lina Trochez / Unsplash

Die Kehrseite der Achtsamkeit


Achtsamkeit bedeutet, den gegenwärtigen Moment bewusst wahrzunehmen, ohne ihn zu bewerten. Sie hat nachweislich positive Effekte auf das psychische Wohlbefinden, da sie hilft:

  • Gedanken und Gefühle besser zu regulieren,
  • Stress zu reduzieren,
  • emotionale Balance zu fördern,
  • den Umgang mit schwierigen Situationen zu erleichtern.

Doch für Menschen, die sich in akuten Krisen befinden, kann der unbedingte Fokus auf das Hier und Jetzt auch belastend wirken.

Wenn sich jemand beispielsweise in einer Phase großer Trauer oder Unsicherheit befindet, kann es schwierig sein, sich ausschließlich auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren. Das bewusste Wahrnehmen von Angst, Schmerz oder Sorgen kann in solchen Situationen verstärkt gefühlt werden, ohne dass ein Ausblick auf Besserung vorhanden ist. Gerade in Krisenzeiten kann der unaufhörliche Fokus auf das eigene Erleben dazu führen, dass die Betroffenen sich tiefer in ihre negativen Gefühle hineinsteigern.

In solchen Fällen kann Achtsamkeit die Belastung sogar erhöhen, da das bewusste Erleben von negativen Emotionen nicht automatisch zu ihrer Lösung beiträgt. Vielmehr können Menschen in eine Art "emotionales Gefangensein" geraten, bei dem sie sich mit ihren negativen Empfindungen konfrontiert sehen, aber keinen Weg aus ihnen herausfinden.

Während Achtsamkeit oft darauf abzielt Akzeptanz zu fördern, kann dies in Situationen akuten Leidens als erdrückend empfunden werden. Es fehlt dann:

  • die hoffnungsvolle Perspektive auf Besserung,
  • eine Strategie zur Bewältigung der schwierigen Gefühle,
  • die Fähigkeit nach vorne zu blicken.

Gerade bei Menschen mit depressiven Verstimmungen oder posttraumatischen Belastungen kann ein zu intensives Auseinandersetzen mit den eigenen Gedanken und Emotionen kontraproduktiv wirken. Statt Erleichterung zu finden, kann Achtsamkeit dazu führen, dass Betroffene sich noch intensiver mit belastenden Erinnerungen oder Ängsten auseinandersetzen, ohne eine konkrete Strategie zu entwickeln, um aus dem negativen Zustand herauszukommen. Hier kann ein zu starker Fokus auf das Hier und Jetzt verhindern, dass Menschen nach vorne blicken und nach Möglichkeiten der Bewältigung suchen.

Warum Hoffnung die Resilienz stärkt


Hoffnung hingegen lenkt den Blick in die Zukunft und eröffnet neue Perspektiven. Sie gibt das Vertrauen, dass schwierige Zeiten vorübergehen und dass Veränderungen möglich sind. Studien zeigen, dass hoffnungsvolle Menschen widerstandsfähiger gegenüber Stress und belastenden Lebensereignissen sind. Hoffnung ist dabei nicht einfach eine passive Erwartung, dass alles besser wird, sondern eine aktive innere Haltung, die Menschen ermutigt an positiven Veränderungen zu arbeiten.

Wer Hoffnung hat:

·       nimmt Krisen als vorübergehende Herausforderungen wahr,

·       sucht gezielt nach Wegen, um mit ihnen umzugehen,

·       lenkt den Fokus auf das, was in der eigenen Macht liegt,

·       bleibt handlungsfähig und aktiv, anstatt sich dem Leid passiv hinzugeben.

Diese optimistische Perspektive kann die psychische Widerstandskraft erheblich erhöhen. Indem Menschen darauf vertrauen, dass ihre Situation veränderbar ist, fühlen sie sich motivierter Lösungen zu suchen und konkrete Schritte zur Verbesserung ihrer Lage zu unternehmen.

Ein weiterer Vorteil der Hoffnung ist, dass sie eine langfristige Perspektive schafft. Während Achtsamkeit oft darauf abzielt den Moment zu akzeptieren, hilft Hoffnung sich Ziele zu setzen und kontinuierlich darauf hinzuarbeiten. Dies kann:

·       Menschen befähigen sich aus einer Opferrolle zu lösen,

·       das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken,

·       Orientierung und Sinn in schwierigen Zeiten bieten,

·       den Glauben an eine positive Zukunft fördern.

Hoffnung gibt Menschen also nicht nur Zuversicht, sondern auch einen inneren Antrieb, Herausforderungen aktiv zu bewältigen und ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Sie ermöglicht es aus passiver Resignation auszubrechen und die eigene Zukunft mitzugestalten.

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Photo by Elena Mozhvilo / Unsplash

Die richtige Balance finden


Das bedeutet nicht, dass Achtsamkeit wertlos ist – im Gegenteil. Eine gesunde Balance zwischen Achtsamkeit und Hoffnung kann entscheidend sein. Während Achtsamkeit hilft Emotionen zu regulieren und im Moment anzukommen, kann Hoffnung als innerer Anker dienen, der in schwierigen Zeiten Stabilität gibt. Die beiden Konzepte sollten nicht als Gegensätze betrachtet werden, sondern als sich ergänzende Werkzeuge zur Förderung der Resilienz.

Um diese Balance zu finden, gibt es mehrere Ansätze:

  1. Achtsamkeitsübungen mit positiven Zukunftsvisionen kombinieren
    Anstatt sich ausschließlich auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren, kann es hilfreich sein gleichzeitig Gedanken an eine bessere Zukunft zuzulassen. Visualisierungstechniken, in denen Menschen sich ihre Zukunft in positiven Bildern vorstellen, können Hoffnung fördern und gleichzeitig den gegenwärtigen Stress reduzieren. Durch das bewusste Erleben des Hier und Jetzt in Kombination mit positiven Zukunftsgedanken entsteht eine gesunde mentale Balance.
  2. Sich aus negativen Gedankenspiralen lösen
    Die Kombination von Achtsamkeit und Hoffnung kann helfen destruktive Gedanken zu erkennen und zu durchbrechen. Während Achtsamkeit dabei unterstützt negative Gedanken bewusst wahrzunehmen, ohne sich in ihnen zu verlieren, gibt Hoffnung eine Richtung vor, in die diese Gedanken gelenkt werden können. Dies hilft, den Fokus von belastenden Emotionen hin zu positiven Möglichkeiten und Lösungen zu verschieben.
  3. Akzeptanz mit Optimismus verbinden
    Achtsamkeit lehrt die gegenwärtigen Umstände zu akzeptieren, ohne sie zu bewerten. Hoffnung hingegen bietet eine Perspektive, die über den aktuellen Moment hinausgeht und Mut macht nach vorne zu blicken. Diese Mischung aus Akzeptanz und Optimismus kann dazu beitragen emotionale Resilienz nachhaltig zu stärken. Wer lernt sowohl den Ist-Zustand anzunehmen als auch an eine bessere Zukunft zu glauben, entwickelt eine starke innere Widerstandskraft.

Quellenangaben

Anderssen-Reuster, U. (2018). Achtsamkeit in Psychotherapie und Psychosomatik: Haltung und Methode. Schattauer, Stuttgart.

Krafft, A. M. & Walker, A. M. (2018). Positive Psychologie der Hoffnung: Grundlagen aus Psychologie, Philosophie, Theologie und Ergebnisse aktueller Forschung. Springer, Berlin Heidelberg.

Michalak, J., Heidenreich, T. & Williams, J. M. G. (2021). Achtsamkeit. Hogrefe, Göttingen.